Edgar Honetschlägers REGIE von Martin Hochleitner

2001

Die Publikation regie erschien im Herbst 2001. Sie begleitete die Ausstellung regie, die der österreichische Künstler Edgar Honetschläger in der Landesgalerie am Oberösterreichischen Landesmuseum und den Kunsthallen Brandts Klædefabrik realisierte.

Das Gesamtprojekt stellte in zweifacher Hinsicht eine spezielle Herausforderung für den Künstler und die Ausstellungsinstitutionen dar. Erstens sollte ohne retrospektiven Anspruch eine adäquate Annäherung an das komplexe Werk einer kosmopolitischen Position erfolgen. Zweitens galt es eine Möglichkeit des konkreten musealen Umgangs mit dem Medium Film und dessen Bezugsfeldern im Gesamtwerk Honetschlägers zu finden.

Den Ausgangspunkt der Ausstellungen in Linz und Odense bildeten die Filme MILK (1998), L+R (1999) sowie die Trilogie colors: masaccio, the history of chocolate und in times of emergency (2000). In den einzelnen Räumen der Museen wurden diese entweder in voller Länge oder in Ausschnitten und kurzen Sequenzen abgespielt bzw. projiziert.

Honetschläger koppelte diese Filme mit seinem Beitrag 97–(13+1) für die documenta X in Kassel (1997) und der Installation Schuhwerk, die auf ein großangelegtes Kunstprojekt im öffentlichen Raum von Tokyo (1993) zurückging.

Fotografien dieser Performance von Shigeo Anzai, eigene Fotoarbeiten, mehrere Videoclips, ausgewählte Gipsobjekte und Malereien, einzelne projektbezogene Texte und eine Auswahl von Zeichnungen bildeten weitere Elemente der Ausstellung. Den Zeichnungen war dabei auch in der Vorbereitung immer größere Bedeutung zugekommen. Sie bildeten optisch und inhaltlich eine wichtige Klammer zwischen einzelnen Werkgruppen, die von der Ausstellungskonzeption keinesfalls isoliert erscheinen sollten. Dies hätte auch dem künstlerischen Selbstverständnis Honetschlägers, der bisherigen Entwicklung und seinem Zugriff auf die einzelnen Medien völlig widersprochen.

Die Ausstellung versuchte ein spannendes Netzwerk gattungsunabhängiger Grundanliegen und künstlerischer Primärphänomene Edgar Honetschlägers zu skizzieren. Die Vermittlung dieses Anliegens setzte auf die optische Sensibilität der Rezipienten und ihre Lust, subtilen Hinweisen des Künstlers zu folgen und seinen Assoziationen nachzuspüren.

Anlässlich einer vorausgegangen Ausstellungseröffnung hatte Jan Tabor die Möglichkeit betont, zu Edgar Honetschlägers Arbeiten viele hübsche Geschichten erzählen zu können.1 Mit der Episode über eine fleischfressende Zimmerpflanze, die Honetschläger zu Tode gefüttert hätte, gab Tabor hierfür auch gleich ein amüsantes Beispiel ab. Allerdings ging Tabor in weiterer Folge sehr exakt auf diese Pflanze ein. Er beschrieb ihre Provenienz aus North und South Carolina, erläuterte ihre Form und biologische Funktion, verwies auf die erotische Symbolik des Gewächses und erzählte schließlich das spezielle Erlebnis Honetschlägers mit dieser Pflanze. In Summe hatte Tabor mit dieser Pflanze eine sehr bewusst gesuchte Möglichkeit, das künstlerische Selbstverständnis Honetschlägers zusammenzuführen, gefunden. Tabor reagierte mit einer Geschichte auf die von Geschichten durchdrungene Position Edgar Honetschlägers.

Die entsprechenden Inhalte verweisen dabei auf die Biographie des Künstlers, seine seit den späten Achtzigerjahren wechselnden Lebensräume in Europa, Asien und Amerika sowie sein Interesse an den Grundlagen gesellschaftlicher Konventionen und ihren spezifischen Ausprägungen.

Die Themen Honetschlägers reagieren auf die Summe kultureller Merkmale, sozialer Gegebenheiten, historischer und politischer Faktoren sowie religiöser Traditionen und sprachlicher Strukturen. In diesem komplexen Bezugsfeld stößt Honetschläger auf Details, die ihn in ihrer wirkungsmäßigen Qualität begeistern. Diese Details ermöglichen es ihm, ein kollektives Bewusstsein zu fokussieren und für sich selbst zu verstehen. Die Detailgenauigkeit in der Beobachtung hat dabei im Moment der bildlichen, filmischen und textlichen Erzählung nichts mit einer Vorliebe für Anekdotenhaftes zu tun. Honetschläger exemplifiziert nicht.

Vielmehr geht es ihm um die persönliche Entdeckung einer Geschichte und ihre Einordnung in persönliche Erfahrungszusammenhänge. Für Dritte bedeutet dies oftmals die Wiederentdeckung einer Geschichte, die bis dahin gar nicht bewusst bzw. entweder falsch repräsentiert oder unsichtbar gemacht worden war (E. Said).

In der bisherigen Auseinandersetzung mit der Kultur-Geschichte Europas und Japans unterschied sich Honetschläger im Subjektivismus seiner Erzählung sehr deutlich von der „unhinterfragten Ethik der Objektivität und des Realismus“ in der Beschreibung gemeinschaftlicher Identitäten.

Zu ganz ähnlichen Ergebnissen – allerdings aus der Sicht der Vergleichenden Literaturwissenschaften – war einige Jahre zuvor auch der Palästinenser Edward Said gekommen. Er hatte verschiedene Formen des Orientalismus untersucht und hieraus, einen westlichen Stil der Dominierung, Restrukturierung und Meisterung des Orients“ abgeleitet. Die theoretische Arbeit galt schon kurz nach ihrer Veröffentlichung als besonders geeignete Diagnose, jener imperialistischer Mechanismen, die insgeheim den Prozess der Repräsentation steuern“.

Obwohl seine Kritik an den Geisteswissenschaften primär ihrer „Nichteinmischung in die Angelegenheiten der Alltagswelten“ galt, erlauben die Beobachtungen Saids – nunmehr auf die Arbeit Edgar Honetschlägers bezogen – zwei wesentliche Erkenntnisse. Diese betreffen einerseits die Forderung nach Subjektivität, „um die nichtlineare Energie gelebter historischer Erinnerung als fundamentale Bedeutungselemente der Repräsentation wiederzugewinnen“, und andererseits die Forderung, aus den Ghettos der Disziplinen auszubrechen, um die festgefahrenen Gesellschaftsprozesse wieder in Gang zu bringen.

Besonders intensiv gestaltet sich die strukturelle Nähe zwischen dem Theoretiker Said und dem Künstler Honetschläger bei jenem Beispiel, an dem Said seine Argumentation entwickelte. Saids Bezugnahme auf Malek Alloulas „Le Harem Colonial“, eine Untersuchung von Postkartenmotiven und Fotografien algerischer Haremsfrauen aus dem frühen 20. Jahrhundert, könnte ebenso aus einem Drehbuch Honetschlägers entnommen sein. Vor allem deshalb, weil die bildliche Eroberung der Kolonisierten durch den Kolonisierenden, ein Zeichen der Macht, von dem jungen algerischen Soziologen Alloula selbst nachvollzogen wurde. Wie Honetschläger erkannte auch Alloula in Bildern seine eigene fragmentierte Geschichte und schrieb diese Geschichte in seine Texte wieder ein. Beide formulierten Ergebnisse der Einsicht in intime Erfahrungen und kulturelle Entzifferungen.

Wenn Katrin Klingan und Hortensia Völckers in einem aktuell publizierten Gespräch mit Gabriele Massuh über die aktuelle argentinische Filmszene das Experimentieren mit Sprache und Bild als ästhetisches Leitmodell zunehmend vom Bezug auf gegenwärtige Realitätsmodelle verdrängt sahen, so führt Edgar Honetschläger in seinen filmischen Arbeiten eben diese beide Ansätze wieder zusammen. Bild und Sprache transportieren das eigene Ich, die Subjektivität Honetschlägers. Dies würde in argentinischen Filmen aus dem Spiel gelassen werden. In ihnen ginge es nur um „objektive“ Biographien.

Trotz dieses Unterschiedes treffen bemerkenswerterweise jedoch die anderen von Gabriele Massuh definierten Charakteristika der jungen argentinischen Filmszene auch sehr exakt für Edgar Honetschläger zu. Als die wesentlichsten Merkmale formulierte Massuh den Zugriff auf explizit dokumentarische Mittel, die Arbeit mit Laienschauspielern, das monatelange Sammeln verschiedener Materialien, Erfahrungen, Notizen, Beobachtungen und Videoaufnahmen, etc. sowie die unglaublich sorgfältige Konstruktion.

Die deutlichste Übereinstimmung schließlich erklärt zugleich auch diese Gemeinsamkeiten zwischen Honetschläger und dem neuen filmischen Realismus Südamerikas. Sie liegt in der Eigenart der Produktionen, die einen allgemeinen Zustand der Menschen in der Globalisierung widerspiegeln. Insofern ließe sich dieser exemplarisch gewählte Vergleich mit Argentinien auch auf andere Kontinente, Staaten und Kulturen übertragen. 

Honetschläger ist für Österreich Protagonist eines World Cinema. Seine Filme beschreiben keine kulturelle Differenz. Sie konstruieren keine binäre Opposition zwischen Kulturen. Vielmehr behandeln sie vor einem sehr komplexen Hintergrund eigener und kollektiver Erfahrungen Fragen „über den Stellenwert der transnationalen kulturellen Produktion“ 

bzw. über „die Universalität von Mobilität und Diversität”.

Die bisherigen filmischen Antworten wurden seinerseits unterschiedlich strukturiert. Während sich bei MILK über den gesamten Film ein bedingtes Handlungskontinuum ergibt, stellt L+R eine Abfolge von subtil verschränkten Einzelbeobachtungen dar. In der Trilogie colors wurden diese gleichsam autonomisiert und alleine dadurch auch in ihrer Wirkung neu bewertet. 

Honetschläger agierte somit in seinen bisherigen Filmen mit differenzierten Systemen der filmischen Komposition, ohne dass sich hieraus zwischen den einzelnen Projekten eine evolutorische Weiterentwicklung ergeben hätte. Vielmehr verfolgte er bei jedem seiner Filme eine – mit dem eigenen Leben zutiefst verflochtene – Intention, die über den Inhalt hinaus spezifische Lösungen in der Gliederung, im Aufbau – aber auch im Entstehungsprozess – begründete.

Die jeweilige Erzählstruktur findet in der Bildstruktur stimmige Entsprechungen. So gibt es auch in jedem Film längere ungeschnittene Passagen, die gerade dadurch besonders deutlich auf die Beobachtung Honetschlägers verweisen. Honetschläger formuliert inhaltliche Bilder. Sie werden von ihm gesehen und können durch ihre Klarheit auch exakt wahrgenommen werden. Für Rezipienten ergeben sich hieraus authentische Partizipationsmöglichkeiten an Assoziationsabläufen des Künstlers. Walter Benjamin hatte dies noch für unmöglich gehalten und hierin auch einen dezidierten Unterschied „zwischen Kunst und Film“ betont: „Man vergleiche die Leinwand, auf der der Film abrollt, mit der Leinwand, auf der sich das Gemälde befindet. Das letztere lädt den Betrachter zur Kontemplation ein; vor ihm kann er sich seinem Assoziationsablauf überlassen. Vor der Filmaufnahme kann er das nicht.“

In seiner kritischen Einschätzung des Films bezog sich Benjamin wiederum auf Georges Duhamel, der schon nicht mehr denken könne, was er denken wolle. Die beweglichen Bilder hätten sich an den Platz seiner Gedanken gesetzt.

Demgegenüber vermittelt Honetschläger seine Gedanken über den Film. Die Klarheit seiner filmischen Sprache begründet sich maßgeblich aus der Kongruenz von Erzähl- und Bildstruktur, wobei letztere wiederum von der hohen formalen Qualität des „filmischen Einzelbildes“ bestimmt wird.

Diese Einzelbilder stehen einerseits in Entsprechung zur ästhetisch intendierten Bildsprache Honetschlägers – speziell im Bereich der Fotografie – und verweisen andererseits auf den Entstehungsprozess der Filme.

So gibt es grundsätzlich zu jeder Szene eines Films auch entsprechende Skizzen, Studien und Entwürfe auf Papier. In diesen werden die wesentlichsten Momente der Erzählung und des Bildaufbaus graphisch skizziert. Gleichzeitig werden Handlungsabläufe und Details erprobt. Die große Übereinstimmung zwischen den Bildern der Filme und der Zeichnungen beweist, wie wichtig die graphischen Vorarbeiten in der gesamten Genese eines Projekts sind. In ihrem spezifischen Verhältnis zu Treatment und Drehbuch verdeutlichen sie jedoch auch die Lust Honetschlägers, Inhalte zu illustrieren.

Seine umfangreiche Arbeit zu Joseph von Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“ (1990) hatte dies schon in einer früheren Werkphase markant zum Ausdruck gebracht.

Die Filme intensivierten diese Lust in Richtung einer umfassenden, weil auch selbst bestimmten Autorschaft. Diese ermöglicht ihm, Beobachtungen über strukturierte Handlungsabläufe zu kommunizieren.

Die Filme bedeuteten somit keine Alternative zur Intention der Zeichnungen und Fotografien bzw. zur umfassenden Konzeption von Schuhwerk und der Documentaserie, sondern eine erweiterte Autorschaft im Umgang mit der Komplexität von Wahrnehmungsstrukturen. Honetschläger sah im Film das dritte Bein jenes Stativs, auf das gestützt er eine letzte, abschließende Aufnahme machen werde könne.

Gleichzeitig wurde durch die bisherigen Filme auch Honetschlägers Verhältnis zur Öffentlichkeit – im Sinne völlig anders gelagerter, kollektiver Erlebnismomente – neu definiert.

Exakt dieses Verhältnis von Künstlerinnen und Künstlern zu ihrer Produktion, zu Rezipienten und zu Institutionen des Kunstfeldes war Untersuchungsgegenstand eines jüngst erschienenen Aufsatzes von Beatrice von Bismarck. Die Autorin reagierte hierbei auf künstlerische Positionierungen im Umbruch zur Postmoderne und betonte die Bedeutung der Zeichnung für die Differenzierung der Fragestellung, „welche der tradierten Künstlerprivilegien beibehalten und auf welche Weise sie zur Formulierung der eigenen Rolle genutzt wurden.“

Im Kontext der Kunst der späten Sechzigerjahre definierte Bismarck für die Zeichnung drei konkrete Bezugsfelder, die grundsätzlich auch auf die Arbeit Honetschlägers anwendbar erscheinen: als Spur zu Körperabdruck und Werk, als Partitur zur Bewegung im Raum und als Drehbuch für soziale Interaktion.

Alle drei Aspekte wurden von Bismarck als besondere Strategien für die Autorität des Autors gesehen und damit der vorausgegangenen Proklamation vom „Tod des Autors“ durch Roland Barthes entgegengestellt.

Auch bei Edgar Honetschläger ist gerade die Zeichnung jenes Medium, über das sich die individuelle Handschrift am direktesten vermittelt und ihn als Autor am unmittelbarsten ausweist.

Über die Zeichnung erschließen sich persönliche Erfahrungszusammenhänge und Aufmerksamkeiten besonders intensiv – vor allem wenn diese Bezugsfelder über den fertigen Film nochmals rückblickend überschaut werden können. Dies unterscheidet Honetschlägers Zeichnung auch von bloßen Regieanweisungen. 

Darüber hinaus teilen die Zeichnungen mit den Filmen ein für das gesamte Werk Honetschlägers charakteristisches Detail:

Sie wirken ungemein hell. 

Die erste Szene von MILK, in der die japanische Flagge bzw. ein roter Kreis sukzessive unter dem Weiß der Milch entschwindet, vermittelt diesen Eindruck besonders nachhaltig. Die Arbeiten Honetschlägers erhalten durch diese Helligkeit eine Brillianz und sinnliche Erhöhung, die bisweilen hyperreale Grenzbereiche berührt. Glatte, stilisierte oder kühle Resultate stellen sich nicht ein. Vielmehr fühlt man sich an jene Faszination, die das späte 19. Jahrhundert mit dem Begriff „Japansehen“ umschrieb, erinnert. Nicht zuletzt unter dem Eindruck japanischer Farbholzschnitte, insbesonders jener von Katsushika Hokusai, war man in Europa davon ausgegangen, dass es in Japan keinen Schatten gebe und folglich alles sehr hell gedacht werden müsse.

Als Phänomen kann der Eindruck am besten über das Gegenteil, eben die Mystifizierung durch düstere und dunkle Gestaltungsprinzipien beschrieben werden.

Die über die Helligkeit betriebene Bildmanipulation Honetschlägers fügt sich gerade bei den Filmen stimmig mit inhaltlichen Manipulationen. Die Helligkeit wird dabei zu einem entscheidenden Faktor der Authentisierung und Konkretisierung einer Szene.

Weitere charakteristische Beispiele stellen die Werkgruppe der Gipsplatten und die Graphikserie Tampopo dar. In dieser arbeitete Honetschläger mit kleinsten weißen Farbpunkten auf weißem Grund und evozierte trotz dieses äußerst nuancierten Differenzbereichs von Bildträger und Bildmittel ein intensives optisches Spannungsgefüge.

Edgar Honetschläger teilt die spezifische Helligkeit als Konstante seines bisherigen Werks mit einer Künstlerpersönlichkeit, die sich jedoch nicht zuletzt durch den bevorzugten Zugriff auf Skulptur und Objekt in eine andere Richtung entwickelt zu haben schien: Cy Twombly. Er hatte in den Fünfzigerjahren begonnen, seine aus schlichten Gegenständen arrangierten bzw. auf einfache Formen verweisenden Objekte weiß zu bemalen. 

Versucht man sich von gattungsspezifischen Unterschieden zwischen Honetschläger und Twombly zu lösen und die Werkkomplexe auf Grundstrukturen zurückzuführen, wird deutlich, dass beide Künstler in spezieller Weise auf Wirklichkeitsfragmente reagieren und die Helligkeit, die sich bei Twombly im gänzlichen Verzicht auf Farbe manifestiert, als Möglichkeit der substantiellen Konformierung nutzen.

Auch teilen beide Künstler eine kosmopolitische Grundeinstellung und die Faszination, Kunstgeschichte als Potential von Anregungen zu verstehen, für die eigene künstlerische Produktion zu nutzen und hierfür auch intensive Recherchearbeit zu leisten. So findet etwa Cy Twomblys Auseinandersetzung mit Raffaels „Schule von Athen“ in den frühen Sechzigerjahren eine Entsprechung in Honetschlägers jüngstem Film masaccio. In diesem Film aus der Trilogie colors führen zwei Japaner ein Gespräch vor den Fresken Masaccios in der leeren Brancacci Kapelle von Santa Maria del Carmine. Diese konkrete Bezugnahme gibt Honetschläger die Möglichkeit, Rezeption und Wirkung eines ausgewählten Beispiels der abendländischen Kunst im permanenten Changieren zwischen eigenem Zugang und persönlicher Interpretation, rationaler und emotionaler Lesung der Ikonographie sowie völlig konträrer europäischer und asiatischer Erfahrungszusammenhänge zu thematisieren und gleichzeitig in seiner Biographie zu verankern.

So entstand colors parallel zum Entschluss, nach Jahren in Amerika und Japan wieder verstärkt in Europa leben zu wollen. Das Projekt wurde von Honetschläger auch als „Rückkehr in den eigenen Kulturkreis – nicht unbedingt geographisch – doch kulturgeschichtlich“ gesehen.

Edgar Honetschläger bewegt sich somit sehr bewusst im Kontext der Kunstgeschichte. Seine eigene Position findet – unabhängig von konkreten Erscheinungsformen – dort die deutlichsten Übereinstimmungen, wo sich die Darstellung von persönlichen Erfahrungen und Erlebnismomenten sowie die Befragung von Realität und Sachwirklichkeiten mit einem umfassenden Kontext-, Gesellschafts- und Geschichtsbewusstsein verbinden und über verschiedene Mittel der Erzählung transportiert werden. In der Kunst des 20. Jahrhunderts steht Edgar Honetschläger durch die Klarheit und Erscheinungsform seiner Bildsprache dem Neo-Realismus, der Narrativen Figuration und bedingt auch der Neuen Sachlichkeit näher als verschiedenen konzeptuellen Richtungen. Trotz vieler formaler Übereinstimmungen und der Verwendung ikonographischer Vorbilder aus der Kunstgeschichte wird in seiner Arbeit jedoch auch die persönliche Eingebundenheit in die behandelten Themen unmittelbar wirksam.

Honetschläger trifft damit ein Phänomen, das am ehesten in der Fotografie der Fünfzigerjahre unter dem mit feinem Gespür für die allgemeine Stimmungslage von Otto Steinert ausgesuchten Begriff „subjektive Fotografie“ umschrieben wurde.

In der Verfolgung seiner ästhetischen Ziele und der spürbaren Präsenz seiner Autorschaft konkretisieren sich diese allgemeinen Bezugsfelder auf Künstler wie Walker Evans und Wiliam Eugene Smith, die eine Akribie in der Recherche mit einem hohen formalen Empfinden verbanden und hieraus die Voraussetzung für eine persönliche Stellungnahme zu menschlichen Regungen und gesellschaftlichen Zwängen schöpften.

Mit seiner Arbeit über Minamata, jenen japanischen Ort, dessen Bewohner durch einen vertuschten Umweltskandal in tiefstes Leid gestürzt worden waren, berührte Smith zumindest einmal auch unmittelbar ein japanisches Thema. Seine fotografischen Essays finden in den filmischen Essays von Edgar Honetschläger ihre weitergedachte, gegenwärtige Fortsetzung.

Ihre ureigenste Charakteristik besteht darin, dass Honetschläger sich über die Filme in seiner eigenen Existenz reflektiert und seine Beobachtungen, Wahrnehmungen, Haltungen, aber auch seinen persönlichen Stil über Erzählformen vermittelt.

Die Summe des Exemplarischen strukturiert ein Netzwerk an Informationen. Das Zentrum bildet die Substanz subjektiver Autorschaft.

Edgar Honetschläger führt Regie – über seine Entdeckungen, seinen Reichtum an Ideen und Assoziationen sowie die Fülle bildnerischer Eindrücke. Der Film ist für Honetschläger wie bei Fernand Léger die Annäherung an gesellschaftliche Systemfaktoren – zu denen der Film selbst gehört.