Ästhetik ist ein politischer Akt an sich

KUNSTFORUM 195, Nov 2009 – Ein Gespräch mit DIETER BUCHHART

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Gespräch von Dieter Buchhart und Edgar Honetschläger über EDOPOLIS

Der international viel beachtete Künstler und Filmemacher Edgar Honetschläger ist ein Grenzgänger zwischen den Kulturen, der sich mit der Vielfalt und Widersprüchlichkeit einer globalisierten Welt auseinandersetzt. Seit den späten achtziger Jahren hat er vorwiegend in Tokyo, aber auch in New York, Wien, Rom, Palermo und Brasilia gelebt. Zurzeit pendelt er im Zuge seines neuesten Projektes „AUN“ zwischen Brasilia, Tokyo und Wien. Er ist ein Reisender, der kulturelle Phänomene und scheinbar Vorgegebenes mit distanziertem Blick von außen wahrnimmt und relativiert. Doch stets ist seine treffende Ironie nur ein Teil seines künstlerischen Statements, sein Fokus vielmehr tief politisch, oft verstörend. Honetschlägers ist stets bereit auf Konfrontationskurs mit dem politischen Establishment zu gehen. Ob mit seinem bekannten kritischen Brief an die KuratorInnen dieser Welt oder seiner grundlegenden Kritik an einer der wichtigsten Errungenschaften der westlichen Zivilisation, der Zentralperspektive, seine politische Agitation ist stets präzise mittels der Wahl seiner künstlerischen Mittel geführt. Im Film „Bejing Holiday“ formuliert er, in dem er mit einer Puppe der in China tief verhassten Frau des von Mao gestürzten chinesischen Generals, Chiang Kai-Sheck, auf einem Motorrad durch das heutige Peking fährt, nicht nur messerscharfe politische Kritik am Westen, sondern begeht auch eine bewusst harsche Provokation gegen das chinesische Establishment. Eine ansprechende Ästhetik der Oberfläche seiner Werke ist Honetschläger stets ein wichtiges Anliegen, um die BesucherInnen zu dem kritischen Diskurs geradezu zu verführen. 

Um das spannende Netzwerk gattungsüberschreitender künstlerischer Ansätze Honetschlägers zu skizzieren, präsentiert sich stets die Zeichnung als entscheidende ästhetische und inhaltliche Klammer zwischen den einzelnen Werkgruppen des Künstlers. In Projekten wie „Immergrün und die Moderne“ setzt sich der Künstler mit der Frage fragmenthafter subjektiver Wirklichkeiten auseinander und verweist auf die Problemstellung der Illusion der Zentralperspektive, die bis heute das Bild der Welt dominiert. Wie kein zweiter verwebt Honetschläger mit großer Konsequenz diese Fragestellung mit der narrativen Struktur seiner filmischen Werke und mit dem zweidimensionalen Medium der Zeichnung.

Dieter Buchhart: Du giltst in der Kunstszene als Grenzgänger zwischen der so genannten bildenden Kunst und dem Genre Film. Wie und worin siehst du deine künstlerische Stellung und Bedeutung?

Edgar Honetschläger: Ich habe mir von Anfang die Freiheit genommen mein Denken in jedem erdenklichen Medium zum Ausdruck zu bringen. Wobei das nicht beliebig ist, sondern immer einen eindeutigen Ausdruck in der sorgfältig gewählten Form findet. Bedeutung? Die liegt vielleicht darin, dass ich Medien in einer Form zusammenführe, wie es sonst niemand tut und damit neue Sehweisen ermögliche. 

Inwiefern haben deine professionellen Filmarbeiten Einfluss auf deine Arbeiten, die du im Kunstraum präsentierst?

Ich denke, dass ich das beim Film notwendige Professionalität und notwendige Disziplin in den Kunstbereich hinüber trage; dies öffnet mir neue Wege – Möglichkeiten zu innovativen ästhetischen Lösungen zu finden. Film ist Gruppenarbeit, die des Regisseurs das Zusammenfassen vieler Talente, gemeinsame Lösungssuche – auch das wirkt auf meine Arbeit für den Kunstraum.

Ortest du auch heute noch eine merkbare qualitative Differenz zwischen dem was weitläufig als Künstlervideo und Film verstanden wird? Was bedeuten in diesem Zusammenhang die Produktionsmittel?

Publikum, Rahmen und Erwartungshaltungen erzeugen andere Ergebnisse. Klarerweise bringt ein Film der mit einer Million Euro dotiert ist, ein anderes Ergebnis als ein Film für eine Halle um 10.000. Jedoch – je mehr Geld, desto enger das Produktionsraster, desto geringer die Gestaltungsfreiheit. Film fürs Kino ist ursprünglich ein proletarisches Medium, die Kunst war und ist immer für die „gebildete“ Elite. Interessant sind die Grenzgänger, also die Filme/Kunstmacher, die an herrschenden Paradigmen kratzen.  

Du setzt dich mit der Vielfalt und Widersprüchlichkeit einer globalisierten Welt auseinander. Welches Projekt diese Auseinandersetzung am markantesten wider?

Alle Projekte widerspiegeln das. Meine Arbeit, nährt sich aus Wechsel und Vergleich. Das Wort Globalisierung hat keine Bedeutung für mich. Austausch zwischen den Kulturen gab es solange es Menschen gibt. Interessant ist wie eine Kultur etwas erfindet, es in einer anderen übernommen, in der Ursprungskultur vergessen und von dort aus in der Ferne als Novum, ja als Exotik betrachtet wird. Eine genauere Betrachtung dieses Phänomens führt jede Form von Rassismus ad absurdum.

Deine originelle Zeichengeschichte „Kappa“ scheint genau diesen Blick eines Außenstehenden auf eine Kultur zu bezeichnen. Mich erinnern die 27 Blätter – für mich Art Filmstills – über den japanischen Wassergeist, der vom Land in die Stadt zog, ein wenig an deine Autobiografie. Wie verstehst du diese Geschichte?

Ich mag die Vorstellung nicht, dass man von der Großstadt verdorben wird – das ist die Essenz von „Kappa kun Tokyo he“. Er wechselt sein Medium, vom Wassergeist wird er zum Luftwesen. Ich meine, dass einen Megapolen beflügeln können. Die Geschichte ist ein Plädoyer für den Großstadtdschungel, aber auch eins für die Freiheit der Entscheidung – und dafür sind Megapolen sehr geeignet.

Ist eine Metropole die einzig mögliche Lebensumgebung für dich?

Ich brauche Tuchfühlung mit der Natur. Aber ich bin sehr froh über die urbane Zivilisation, ich möchte und kann nicht in der Wildnis leben. Ich brauche den Schutz der Stadt und der Menschen, die mich umgeben. Und wenn schon Stadt dann gleich Metropole. 

Das Narrative ist entscheidendes Agens deiner Werke. Was interessiert dich an der Narration und was siehst du als deren größten Qualitäten?

Filmleute werden meine Arbeit als zu wenig narrativ bezeichnen, während das im Kunstbereich reziprok gesehen wird. Ich wehre mich gegen die tradierte Form des Erzählens. Ich erfinde meine eigene. Ich bin nicht auf die Welt gekommen um Gegebenes zu bestätigen. 

In „Scent of Snow“ findet sich sowohl das Narrative als auch das Autobiografische. Kannst du das näher ausführen?

Der „Geruch des Schnees“ ist die Übersetzung von YUKIKA, jener Frau die seit 1994 in fast allen meinen Filmen und Arbeiten präsent ist. Es ist eine Liebeserklärung, die auf dem ältesten Roman der Menschheitsgeschichte aufbaut, den eine japanische Hofdame im 11. Jhdt. geschrieben hat: GENJI MONOGATARI. Als ich Yukika 1994 im Chelsea Hotel NY kennenlernten, hielt ich ein Video Interview mit ihr. 9 Jahre später kehrte ich zurück, zeichnete das Hotelzimmer in einem Downtown Loft nach und ließ drei Frauen in die Yukikas Rolle schlüpfen. 

Deine Arbeiten sind stets von treffender Ironie und trockenem Humor getragen. Erst bei genauerer Betrachtung erschließen sich in deinen Werken, wie z.B. „Chickenssuit“  tief politische, oft verstörende Botschaften. Verstehst du dich als politischer Künstler?

Die Ironie überdeckt bewusst die Politik. Nicht mit dem Zeigefinger, sondern spielerisch. Ich suche die Leute zu verführen und ihnen Raum zu schaffen, unter die Oberfläche zu tauchen. Chickenssuit kommt sehr ulkig und originell daher, aber es ist ein antikapitalistisches Manifest, das als Kritik an der Weltausstellung in Aichi, Japan entstand. IL MARE E LA TORTA spricht vom Staufferkaiser Friedrich II und behandelt damit den Irak Krieg usw. 

Dein bekannter Brief an alle KuratorInnen dieser Welt hat dir nur wenige Freunde geschaffen. Was war der Anlass für diese drastische Maßnahme?

Ärger, dass der Sekundärbereich sich oft über die Kunstschaffenden hinwegsetzt. Ich wünschte mir -was nie sein kann- mehr Solidarität unter den Künstlern. Weg von der allgemeinen Ersetzbarkeit. Bei den eigenen Themen bleiben, den Ton angeben, und sich nicht auf die Wünsche und Ideen der Kunstmacher zuschneiden lassen, sowie ein Ende der Unzahl von programmierten Grossausstellungen. 

Eines deiner großen Themen, das du in Projekten wie „Los Feliz“ behandelst, ist eine der wichtigsten Errungenschaften der westlichen Zivilisation: die Zentralperspektive. Dabei verweist du auf die Problemstellung der Illusion der Zentralperspektive, die bis heute das Bild unserer Welt dominiert. Was führte dich zu dieser Auseinandersetzung, die sich wie ein roter Faden durch deine Projekte der letzten zehn Jahre führt?

Geprägt durch mein Leben in Japan, habe ich erfahren wie anders man die Welt denken kann. Es gibt kein Absolut. Jeder Lebensentwurf ist gleich gültig. Die Zentralperspektive ist eine Illusion. So, wie wir die bittersüße westliche Erfindung der Romantik. Wir sind stolz auf diese Errungenschaften, aber die Welt funktioniert auch in zwei Dimensionen und ohne Romantik ausgezeichnet (in der japanischen Sprache gab es bis zum Einbruch des Westens kein Wort für Liebe!). Allein schon das Wort – ZENTRAL – beschreibt das Problem. Die Byzantiner erfanden die umgekehrte Perspektive. Wir können sie bei Betrachtung der Bilder nicht erkennen, weil wir sie nicht sehen gelernt haben. Wie wär’s denn, wenn wir wie die Suprematisten ernsthaft an einer vierten und fünften Dimension zu arbeiten begännen?

Was ist deiner Meinung nach die Bedeutung der Zentralperspektive im Film?

Der analoge Film, hat die Vorstellung von Raum, von Tiefe, weitergetragen und das ganze 20Jhdt. ästhetisch geprägt. Er führt die Lüge fort. Die Eindimensionalität letztendlich. Eine Verarmung der Wahrnehmung und damit des Geistes. Ich umarme seit Anfang das Digitale, weil es wie eine Rückführung zur Fläche ist, kein Vorgeben von Tiefe, alles erstickt an der Oberfläche. Der Punkt des Analogen erzeugt eine andere Wahrnehmung als das Quadrat des Digitalen. 

Ist der Widerspruch zwischen Zweidimensionalität und einer illusionistisch erzeugten Täuschung unseres Sehens auflösbar?

Da ist kein Widerspruch. Dogma ist böse. Jede singuläre Betrachtung der Welt.

Ich stelle das gängige Prinzip in frage. Die Russen verpacken bis heute ihre Neugeborenen in ein enges Wickelkorsett. Jeder Arzt im Westen wird dir sagen, dass dies der Entwicklung des Kindes schadet, aber die leben auch nicht länger oder kürzer als wir. Alles darf stehen so wie es ist, solange es nicht zum giftigen Absolut wird. 

Welche künstlerischen Mittel sind deiner Meinung nach die entscheidenden in deiner Auseinandersetzung mit der Frage fragmenthafter subjektiver Wirklichkeiten?

Alle Fragemente münden in einer Person. Das Leben bildet die Klammer. Ich unterscheide Künstler nicht von anderen Menschen. Er/sie hat im besten Falle das Glück und die Krux mit einem Sensorium ausgestattet zu sein, dass sich von der Norm unterscheidet. Diese zweifelhafte „Gnade“ sollte zum Wohle aller eingesetzt werden und nicht nur der persönlichen Eitelkeit dienen. Das ist das „Kapital“, das die Mittel rechtfertigt, in denen es zum Ausdruck kommt. 

Nicht nur gegen die Zentralperspektive polemisierst du. Im Film „Bejing Holiday“, in dem du mit Soong Mei-Ling (1897-2003), der Frau des später von Mao gestürzten Generals Chiang Kai-Shek, analog zum Film „Roman Holiday“ von William Wyler, mit einem Motorrad durch Peking fährst und sie schlussendlich provokant auf den Tiananmen-Platz setzt, legst du dich geradezu gefährlich dem chinesischen Regime an. Kannst du deine Motivation genauer erklären?

Ich werde nie vergessen als ich 1989 die Bilder vom Platz des himmlischen Frieden sah – Panzer die Demonstranten überrollten. Ich lebe seit 1991 in Tokyo – China ist mein Nachbar. Ich will nicht verstehen, dass westliche Intellektuelle, Architekten und Künstler im vermeintlichen Goldregen dieses menschenverachtende Regime unterstützen und so tun als würde sie es nichts angehen, dass Denker dort im Gefängnissen verschwinden, ermordet oder „im besten Fall“ nach Amerika abgeschoben werden. So wie das Wort Demokratie in der Bush Ära ausgesprochen wurde – war es Imperialismus, aber in Hinblick auf Menschenrechte gilt es nach wie vor als erstrebenswertes Ideal. Nur jene chinesische Künstler, die einen westlichen Pass haben können aufbegehren. Viele westliche Kuratoren meinen bis heute, dass ein gemaltes MacDonalds Logo am Mao Sujet Kritik wäre. Die lachen sich einen Ast ab über unsere Naivität. Es gibt keinen hochdotierten chinesischen Kurator, der nicht bei der Partei wäre.

Hatte deine Aktion konkrete Auswirkungen auf dich und dein(e) Kunstprojekt(e)?

Jene Frau, der China einst gehörte vor die Nase ihres größten Kontrahenten MAO zu setzen war ein gewagter Akt. Ich darf nicht mehr in China einreisen. Ich hatte keine Chinesen in meiner Crew – die hatten alle Angst. Die Ungerechtigkeit ist, dass man das als privilegierter Europäer wagen kann. Ich habe von Tokyo aus 3 Firmen in China kontaktiert, die realistische Puppen machen – die lehnten, nachdem ich Soong Mei-Ling’s Foto schickte, sofort ab. Einer der berühmtesten Kuratoren Chinas hat mir auf meine Frage, ob er mir helfen könne mit zwei Buchstaben geantwortet: NO – und mich nie wieder kontaktiert. 

Was bedeutet angesichts deiner oft messerscharfen politischen Kritik jene deinen Filmen, Zeichnungen und Installationen anhaftende, die Oberfläche beschreibende Ästhetik der Werke?

Da bin ich in der Renaissance, von der ich sonst immer als übel spreche. Es muss nicht alles hässlich sein was Inhalt hat. Ästhetik ist ein politischer Akt an sich. Danach wird das Wasser tief. Es ist eine Frage der politischen Verhältnisse wie auch der Bildung, ob du dir Reibung in deinem Leben wünschst. Aber zuerst musst du mal von etwas gefangen sein, um diesen Wunsch zu entwickeln. 

Deine aktuelle Personale in Krems und Luxemburg beschäftigt sich erstmals mit der engen Verwebung deiner Filme mit dem Medium der Zeichnung. Was kann die zweidimensionale Zeichnung was dreidimensionale Kulissen nicht können? 

Von der Zeichnung komme ich, sie ist Grundlage aller meiner Arbeiten. Bei der documentaX hatte ich eine Serie von Fotografien und ein Video. Viele meinen seither, dass ich Fotograf bin. Andere meinen ich wäre reiner Filmemacher. Ich möchte den gemeinsamen Nenner herausstreichen und einige der rund 6000 Zeichnungen, die in den letzten 20 Jahren entstanden sind, der Öffentlichkeit zugängig machen, um auf die Basis zu verweisen. Das zweidimensional Set ist eine Fortführung der Zeichnung in den Raum ohne ihn zu nutzen, dies ermöglicht einen anderen Zugang zum Sehen.

In deinem neuesten Filmprojekt „AUN“ setzt du dich mit der Zukunft des Menschen auseinander? Wie sieht deine Vision von unserer Zukunft aus? 

AUN (der Anfang und das Ende aller Dinge) ist ein 90min Spielfilm, gedreht in Japan. Es geht um Öllobby, Erfindungen, die keiner will, um eine lebenswerte, fantastische Zukunft, in der es den Menschen besser geht als je zuvor. Weg von den apokalyptischen Szenarien, hin zu möglichen Lösungen. AUN ist ein Fenster in eine sehr ferne, rosige Zukunft. 2,5 Jahre habe ich Gen Ingeneure befragt und all das in mein Drehbuch einfließen lassen. Pflanzen sind die Lösung und darum wird es in AUN gehen.

In welcher Kunstform siehst du die größte Bedeutung in den kommenden Jahren?

Ich wünsche mir nur, dass die Finanzkrise, die ich lange herbeisehnte, bald am Kunstmarkt Einkehr hält. Ich wünsche mir eine Gesellschaft in der das Geistige, das qualitative Wissen über dem Materiellen steht. Schluss mit Quoten, mit Unsummen, die kein Mensch verdient hat. Schluss mit Kultur, die sich den Gesetzen des Kapitalismus unterwirft. 

Glaubst du, dass die von Sponsoren, KritikerInnen, RezipientInnen und auch vielen KünstlerInnen gesetzten Scheingrenzen zwischen den künstlerischen Medien endlich aufgelöst werden?

Ich denke die Frage ist anachronistisch. Facebook, Youtube, Blogs etc. haben längst die aktuelle Wirklichkeit übernommen. Ich bin für einen kollektiven Zugang zur Welt und für das Fallen aller Urheberrechte. Alle tragen bei, alle nehmen und geben – das wäre die notwendige Auflösung der wirklichen Grenzen.