2000, Interview Johannes Rauchenberger und Alois Kölbl mit Edgar Honetschläger
Der österreichische Filmemacher, Regisseur und Maler Edgar Honetschläger, Teilnehmer der Dokumenta X, ist ein Wanderer zwischen europäisch-abendländischer und fernöstlicher Welt und Kultur. Seit Jahren betreibt er eine subtile künstlerische Archäologie fremder Kulturen, besonders Japans: Dort findet er sich in einem Teil der Welt, “in dem das Christentum nie Fuß fassen konnte, und in welchem Sigmund Freud bis heute keine entscheidende Rolle spielt” (E.H.). Vielmehr ist er mit einer vielschichtigen Selbstkolonialisierung der Japaner konfrontiert, die sie ihre eigene Welt mit von außen implantierten Paradigmen sehen und gestalten lässt. Unter geänderten Vorzeichen hat der Kosmopolit Honetschläger, der inzwischen in Japan ebenso zu Hause ist, wie in Wien oder Rom, diesen Blick des Fremden auf das Eigene zur multimedialen künstlerischen Strategie entwickelt.
Pathos und Emotion sind für Honetschläger verbunden mit Zugängen zu Menschenbild, Identität und Kultur, die zu beladen sind, um damit einfach umgehen zu können. Mit Mitteln von Ironie, Beiläufigkeit und Humor setzt der Künstler erneut die entsprechenden Themen auf das Parkett künstlerischen Bewusstseins.
Seine Videotrilogie “Colors” ist eine „augenzwinkernd-subtile Archäologie eurozentristischer Dogmen“ (E.H.), in der Kultur- und Religionsfremde einen Blick in das ihnen Ferne, nicht mit der Muttermilch Aufgesogene werfen und beim Räsonieren darüber beobachtet werden. Ob als eine Geschichte über die „süße Sünde“ in der “Geschichte der Schokolade” (Teil 1), als Gespräch zweier Japaner über das Christentum und Europa in der Brancacci-Kapelle in „Masaccio“ (Teil 2) oder als leichtes Spiel zwischen Sündenfall, Katastrophe und Paradiesesvorstellung in „In times of Emergency“ (Teil 3): stets ist Lachen und Leichtigkeit eine willkommene Begleiterscheinung für die BetrachterInnen, wenngleich es um die großen Themen des Menschseins geht.
In „The History of Chocolate“ werden Jesuitenmission und schweizerische Identität so gewitzt ineinander verschachtelt, dass es eine Geschichte über die “süße Sünde”, ein einstmaliges “Herrschaftswissen” (als Droge für die Missionare) bis hin zu einem weitverbreiteten Genussmittel wird. Im zweiten Teil (“Masaccio”) diskutieren vor den berühmten Fresken aus der Frührenaissance in der Brancacci-Kapelle in Florenz – Inkunabel des dreidimensionalen Bildraumes europäischer Prägung – ein japanischer Professor für deutsche Literatur mit einer jungen Japanerin über das Christentum, über die westliche Kultur, über die beginnende Perspektive in der westlichen Bildwelt, und – vor dem Fresko der vertriebenen Ureltern Adam und Eva aus dem Paradies – was denn eigentlich “Sünde” sei: Und wieder wird die ganze Schwere kultureller Verschiedenheit durch so witzige Szenen kontrastiert, die einem erst im Lachen die Tiefe der Bedeutung aufgehen lässt: Kennzeichen wirklich guten Humors. Die Trilogie „Colors“ findet ihren Abschluss im dritten Teil des Films, genannt “in times of emergency”: Einer slapstickartigen Bilderfolge aus found footage (Archivmaterial aus Washington), die eine Gruppe von Feuerwehrmännern zeigt, die in einer Übung während des Zweiten Weltkrieges mit veralteten Geräten amerikanischer Provenienz eine aussichtslose Löschaktion durchführen, folgt eine ohne das Wissen der Beteiligten mitgeschnittene Diskussion der drei Hauptdarsteller aller drei Filme (ein Schweizer, ein japanischer Professor für deutsche Literatur, (der sich als Erwachsener taufen ließ) und eine junge japanische Studentin) über das Sexualverhalten von Bonobono-Affen. Was mit dem an die Komik alter Stummfilme erinnernden Feuerwehrszenario beginnt, mündet am Ende der Sequenz in ein Gespräch zwischen dem älteren Professor und seiner jungen Partnerin über ihre Vorstellungen von Paradies und Liebe.
Es kommen existentielle Themen des Menschseins auf das Tableau des Kunstgenusses, verbunden mit unterschiedlichen Antworten aus den verschiedenen Religionen und Kulturen. Bevor der Betrachter noch intellektuell-sezierend über Kultur und Tradition nachdenken könnte, ist er mitten hineingerissen in das Wirrwarr kultureller Identitäten und ihrer divergierenden Antwortversuche auf Lebens- und Sinnfragen.
Wir trafen den Kosmopoliten Edgar Honetschläger am Bahnsteig des Wiener Südbahnhofes vor seiner Abreise nach Palermo, dem Ort seines gegenwärtigen Filmprojekts.
KK.: Du spielst in Colors diese großen (pathetischen) Themen Sünde, Liebe, Religion, Philosophie…
EH… Demokratie!
KK. gut, Demokratie – , verfremdest sie aber gleichzeitig – ich würde einmal sagen – ironisch. Wie wichtig ist die Ironisierung für Dich überhaupt als künstlerisches Mittel?
H.: Ja, ich glaube, dass das in meiner Arbeit von Anfang an von großer Bedeutung war, weil ich anders mit den Themen gar nicht umgehen könnte.
KK.: Warum?
EH.: Naja, weil sie so breit und so schwer und besetzt sind über eine schon so lange Zeit, dass es einfach eine Notwendigkeit ist, um selbst damit überleben zu können: Das Ganze mit dem Blick von außen auf sich selbst zu betrachten. Ich habe ein Problem, wenn jemand sich selbst zu ernst nimmt. Das ist jetzt kein Postulat oder so etwas: Aber ich glaube, es ist sehr wichtig, dass man aus sich selbst ein bisschen heraustreten kann, den Versuch zumindest macht, aus sich herauszutreten, auf sich selbst zu schauen und über sich selbst zu lachen. Mit dem, was immer man ist und darstellt, und wie immer man mit diesen Themen umgeht.
KK.: Das heißt, für dich ist weniger ist das Problem des Bruchs, dass das irgendwie alles verloren ist, sondern dass es für dich schlicht zu schwer und bedeutungsgeladen, meinetwegen: pathetisch, ist. Die Schwere als Ansatz, dieses selbst zu ironisieren in einer gewissen Leichtigkeit?
EH.: Wenn man beginnt, die Dinge zu relativieren ‑ und mein Ansatz ist eben seit mehr als einem Jahrzehnt der, kulturelle Verschiedenheiten, wie hier eben Japan, zu betrachten ‑ dann ergibt sich einfach als natürliche Folge, dass man die Dinge ironisiert, weil ja sozusagen verschiedene Gesellschaftsordnungen verschiedene Zugänge zu den Themen, die du angeschnitten hast, Liebe, Gott, Demokratie, was immer, haben.
Wenn man unterschiedliche Kulturkreise bezogen auf diese Themen betrachtet, kommt immer unter‘m Strich etwas ganz anderes heraus. In „Colors“ kommt eigentlich sehr schön zum Vorschein, dass es in Japan keinen Begriff für „Liebe“ gab, und das ist ja bis heute so, dass es, so wie wir es in Europa verstehen, dort nicht verstanden wird. Also, wenn ich dann zurückblicke auf meine eigene Kultur, bleibt mir ja nichts anderes als Ironie, um das Ganze noch fassen zu können.
KK Also, Ironie als ein Vehikel, um dann doch eine neue Ernsthaftigkeit rüber zu kriegen?
EH.: Ja, auf jeden Fall. Und außerdem habe ich ein bisschen Problem mit dem Pathos. Also, ich bin mir nicht so sicher, ob diese Themen, diese großen Themen, ob das so eine pathetische Sache ist. Das sind ja einfach Grundelemente des Lebens. Der Pathos ist das, was die Menschen draus machen. Mich stört das zum Beispiel manchmal, wenn Leute sagen: Ich habe einen Sonnenuntergang gesehen; es war ein unglaublicher Kitsch. Für mich kann Natur nicht kitschig sein. Das Abbild davon, das wir uns im Kopf gemacht haben, oder die tausenden Bilder, die wir gesehen haben, führen dazu, dass man dann den Sonnenuntergang als kitschig betrachtet. Aber der Sonnenuntergang selbst kann nicht kitschig sein.
KK.: Mit den großen Themen gehen verschiedenste Wissenschaften um, die Theologie, die Philosophie, die Soziologie. Siehst du eine spezifisch künstlerische Herangehensweise an diese Themen?
EH.: Ja, also, indem ich glaube, dass vom Menschen nichts anderes übrigbleibt als die Kultur, bin ich also sehr wohl der Meinung, dass das unsere Themen auch sein sollten. Ich glaube, dass die Kunst und die Kultur sich immer damit auseinandergesetzt haben, weil sie ja auch immer etwas mit der Philosophie, Weltdeutung, mit dem Menschsein selbst zu tun hat. Und deswegen …
KK.: Ich meine, einmal die spezifische Herangehensweise der Kunst und als Zusatzfrage in Klammer würde ich dazustellen: Meinst du, dass die Kunst Antworten auf die Grundfragen des Humanum hat. Also, die anderen Wissenschaften nehmen ja für sich schon in Anspruch, dass sie jeweils Antworten haben.
EH.: Ich bin nicht dazu da, Antworten zu geben, ich bin dazu da, Fragen zu stellen. Das ist zwar eine Platitüde, aber das ist so. Ich kann mich nur nähern aus meiner Subjektivität. Und wenn das ganze jetzt sozusagen präsentiert ist nicht nur mit Ironie, sondern auch noch mit der Möglichkeit, darüber lachen zu können, dann öffne ich ja eine Tür im besten Falle, die es möglich macht, dem Betrachter, dass er selbst einen anderen Zugang dazu findet, und vielleicht aus seiner verqueren Denkweise ein bisschen entschlüpft.
Ein bewusstes Zugehen auf diese Themen, von künstlerischer Seite her, ist natürlich mit einer gewissen Schwierigkeit verbunden. Ich glaube, dass das eh nur im Vorbeigehen passieren kann mit einer relativen Leichtigkeit, so wie es z. B. bei „Masaccio“ passiert ist, wo ich die Gesprächssituation des Professors und seiner jungen Partnerin, so wie sie dann entstanden ist, ja nicht geplant habe – sie ist im Laufe der zwei Stunden, wo die Kamera lief, einfach passiert. Aus diesen zwei Stunden Gesprächsmaterial war eine gewisse Grundthematik da, die mich das herausschöpfen ließ, was mich interessiert. Und dann waren eben diese Themen da.
Was ich auch noch sagen möchte, ist, dass ich meine, sehr wohl meine, dass der Gegenwartskunst – und ich möchte vorsichtig sein mit pauschalen Urteilen, aber trotzdem, – sehr oft eben Witz und Ironie fehlen genauso wie Emotion. Das Kino ist ja nicht umsonst sozusagen der bildenden Kunst, was den Zuspruch des Publikums betrifft, voraus, weil es eben, wenn auch falsche, aber doch Emotionen zeigt, während die bildende Kunst heute durch diese wie immer Intellektualisierung oder diese wahnsinnige Verkopfung, die ja passiert ist spätestens in den 90er Jahren, oft viel zu wenig von ihrem Herz und Schmerz und was immer bereit ist zu offenbaren, und dadurch ist wohl auch viel weniger Zugänglichkeit da.
KK.: Ich habe das Lachen in den „Colors“, also sowohl bei den Akteuren als auch bei mir selber, beim Betrachter als etwas Befreiendes empfunden, um wieder neu an diese Themen heranzugehen. Ist wohl so intendiert vom Meister?.
EH.: Ja, ich meine, danke, ist ein großes Kompliment. Also, wenn ich das zu hören kriege, freue ich mich, weil ich bin nicht der Hofnarr, also, das wäre sozusagen das Gegenteil davon, ja, dass ich also sozusagen dauernd mich über mich selber und alles lustig mache. Sonst kommt dann zu diesen Themen soviel Zynisches hinein, das wir auch gut kennen aus der bildenden Kunst, was mich irrsinnig stört, weil Zynismus etwas sehr Negatives sein kann. Aber im Grunde genommen ist das das größte Kompliment, weil ich glaube ja, wenn dich die Oberfläche lachen lässt, dann bist du ja auch bereit, und das Lachen ist ja kein schallendes, sondern das kommt ja, das ist ein verschmitztes, dann bist du vielleicht auch bereit, tiefer dich in diese Dinge hinein zu bewegen und dann siehst du eben auch bei „Colors“, dass sich unter der Oberfläche, was weiß ich wie viele anderen Ebenen befinden, und dass das alles ineinander hängt und zusammengehört.