Marzipan Jesus

Operation Figurini – im Rahmen einer Intervention in Wien von Werner Dempf und Erik Steinbrenner

Das Multiple MARZIPAN JESUS, das Hostien ersetzen soll, entstand auf Einladung zu einer Stadt Intervention von Werner Dempf und Erik Steinbrenner . Ich fertigte einen Prototyp aus Marzipan (siehe oben) und liess in einer jüdischen Zuckerbäckerei Multiples der Skulptur fertigen (siehe unten).

„Bis alle Seelen mitgehen dürfen“

Von Eveline Goodman-Thau

Wien, einst eine jüdische Stadt, war an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert für meine Eltern wie für viele Juden aus Osteuropa eine erste Station, ein Ort der Begegnung zwischen Ost und West, wo sie ihr uraltes Wissen, eine Mischung von eindringlichem Forschen und tiefer Religiosität, in der modernen Welt praktizierten. Die biblischen Gestalten waren für sie lebendige Vorbilder, nicht nur Ikonen einer Vergangenheit.

In dieser Tradition stehend, hat Martin Buber durch seine Nacherzählung der chassidischen Legenden eine Brücke zwischen östlicher Spiritualität und westlicher Rationalität gelegt. „Die chassidische Legende ist der Körper der Lehre, ihr Bote, ihr Zeichen auf dem Weg der Welt. […] Sie erzählt kein Schicksal, sondern eine Bestimmung. Ihr Ende ist schon in ihrem Anfang, und ein neuer Anfang in ihrem Ende.“ Die Legenden sind der Weg zur Erlösung: Sie erzählen von den Gerechten, die den Ruf der Alten am Schnittpunkt von Geschichte und Biografie als Mandat auf sich nehmen, um so die Gerechtigkeit in die Welt zu bringen, die bis zur Ankunft des Messias von 36 Gerechten aufrecht erhalten wird. Die folgende Erzählung zeigt, wie für den Gerechten das eigene Leben im Dienst der Sorge für den anderen liegt, als göttliches Gebot, als Mandat, das „niemand mir gegeben hat“ (Franz Kafka). Es geht dem Gerechten weniger um die Gerechtigkeit Gottes als um das gerechte Menschenleben.

„Es wird erzählt: Als Rabbi Mosche Leib Sassow gestorben war, sprach er zu sich: ,Nun bin ich aller Gebote ledig geworden, womit kann ich jetzt noch Gottes Willen tun? […] Sicherlich ist es Gottes Wille, dass ich für meine unzähligen Sünden Strafe empfange!‘ Sogleich lief er mit ganzer Kraft und sprang in die Hölle. Darüber gab’s im Himmel große Unruhe, und bald bekam der Höllenfürst einen Erlass: Solange der Rabbi von Sassow dort ist, soll das Feuer ruhn. Der Fürst bat den Zaddik [Gerechten], sich nach dem Paradies hinwegzubegeben, denn hier sei nicht sein Platz […]. ,Ist dem so‘, sagte Mosche Leib, ,dann rühre ich mich nicht weg, bis alle Seelen mitgehen dürfen. Auf Erden habe ich mich mit der Auslösung Gefangener abgegeben, da werde ich doch diese Menge da nicht im Kerker leiden lassen!‘ Und er soll es durchgesetzt haben.“

Für Rabbi Mosche Leib aus Sassow gibt es kein Leben im Paradies, wenn andere in der Hölle sind, weder im Diesseits noch im Jenseits.

Eveline Goodman-Thau ist Professorin für Jüdische Religions- und Geistesgeschichte und Rabbinerin. Sie lebt in Jerusalem und lehrt in Berlin und Wien.